- Vorwort
- 1. Einführung
- 2. Die Core-Commitments des Framework für Co-Kreativität
- 3. Erläuterungen
- 4. Framework Ebene 2 [1 %]
- 5. Umsetzung [0 %]
- Literatur
- Index
Bis zum Frühjahr 2006 verlief meine Karriere eher klassisch-bürgerlich. Nach meinem Elektrotechnik-Studium verbrachte ich fünf Jahre als Forschungsingenieur in der Berliner Charité, und weil ich schon als Jugendlicher Freude am Programmieren hatte, hielt ich es für eine gute Idee, danach in die Software-Branche zu wechseln. Irgendwann landete ich als Softwareentwickler bei einem Finanzdienstleistungsunternehmen. 30 Wochenstunden, üppiges Gehalt, keine Überstunden, entspanntes Arbeitsklima, nette Kollegen. Meine Aufgaben konnte ich mit Leichtigkeit bewältigen, und ich erhielt stets positive Anerkennung für meine Leistung. Der perfekte Job – sollte man denken. Und doch kehrte ich an den meisten Abenden mit einem Gefühl der Leere von der Arbeit nach Hause zurück.
Wie konnte das sein?
Nun, zum einen gebe ich ganz klar Microsoft die Schuld :) Gefühlt die Hälfte meiner Arbeitszeit verbrachte ich nämlich damit, in Wissensdatenbanken zu recherchieren, warum meine Programme nicht so liefen, wie sie laut Microsoft-Dokumentation eigentlich hätten laufen sollen. Mein kreativer Fluss verebbte nicht selten zu einem eher felsigen Gebirgsbächlein.
Doch der eigentliche Grund für meine Unzufriedenheit offenbarte sich mir erst während meiner Coaching-Ausbildung am Hendricks Institute in Kalifornien, die ich derzeit absolvierte. In den zurückliegenden Jahren hatte ich bei Gay und Katie Hendricks viel darüber gelernt, wie man seine engen Beziehungen so gestaltet, dass sie Energie geben statt zu zehren, und wie man den Hauptteil seines Lebens damit verbringt, die Dinge zu tun, die einem wirklich Spaß machen und damit auch noch seinen Lebensunterhalt verdient (»Genius-Arbeit«).
Dort lernte ich also, dass ich in die »Falle der Exzellenz« getappt war: Zwar verdiente ich mein Geld mit etwas, was ich ziemlich gut konnte, es erfüllte mich aber selten. Deshalb hatte ich gewöhnlich am Ende eines Arbeitstages weniger Energie als zu Beginn. Wild entschlossen herauszufinden, wie ich dieses Verhältnis künftig umkehren konnte, machte ich mich daran, meine »Genius«-Qualitäten mehr zu betonen.
Das mit den harmonischen Beziehungen hatte ich damals schon ganz gut drauf, und im Coaching hatte ich eines meiner neuen Talente entdeckt, also dachte ich mir: »Warum also nicht davon leben, anderen Menschen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie in ihren Beziehungen auch glücklich werden können?«
Gesagt, getan, Coachingpraxis gegründet. … Seitdem habe ich viel gelernt.
Zum Beispiel, dass ich gerne mehr unternehmerische Begabung hätte. Das mit dem Coaching funktionierte zwar super – kaum eine Sitzung, nach der ich mich nicht energetisiert und beschwingt fühlte –, aber die meisten betriebswirtschaftlichen Aspekte meiner neuen Existenz, wie Marketing und Akquise, kosteten mich viel Energie und nahmen viel zu großen Raum in meinem neuen Leben ein. Und genau das wollte ich ja vermeiden.
So hielt sich auch der wirtschaftliche Erfolg meines Unternehmens in Grenzen. Weil mir finanzielle Stabilität aber wichtig ist, stand ich bald wieder mit einem Bein in der tayloristischen Arbeitswelt. Dort bereitete mir diesmal die eigentliche Arbeit, Datenbankprogrammierung und ein wenig Projektmanagement, überraschend viel Freude, nun jedoch lauerten die Energiekiller in der Zusammenarbeit mit dem IT-Dienstleister meines Auftraggebers.
Gemessen an der Trivialität mancher Probleme war der mit ihrer Lösung verbundene Aufwand oft absurd hoch. Manchmal zog sich die Behebung eines Bugs über mehr als ein Jahr hin und wurde von vielen Stunden ineffizienter Kommunikation begleitet, obwohl der Bugfix selbst vielleicht nur dreißig Minuten in Anspruch nahm. Nicht selten sah ich das Bild von Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen vor meinem inneren Auge.
Über einen längeren Zeitraum beobachtete ich genau, was Menschen gegeneinander statt miteinander arbeiten lässt und warum sie so viel Energie in Konflikte, Machtkämpfe und unbewusste Kommunikation investieren, statt Kooperation an erste Stelle zu setzen. Umgekehrt fragte ich mich, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit diese Energie stattdessen in das gemeinsame Erschaffen von etwas Neuem fließen kann, und die Idee zu diesem Framework ward geboren.
Ich stellte mir ein Unternehmen vor, in dem die Aufgaben aller mit ihren persönlichen Begabungen harmonieren. Alle widmen sich hier Tätigkeiten, denen sie auch zum Vergnügen in ihrer Freizeit nachgehen würden und die sich nicht wie Arbeit anfühlen. Kreativer Ausdruck ist die Hauptmotivation, nicht die Notwendigkeit Geld zu verdienen. Wie gearbeitet wird ist viel wichtiger als, was gearbeitet wird. Und weil ein solches Unternehmen einfach Spaß macht, haben alle ein vitales Interesse daran, miteinander zu kooperieren, statt sich gegenseitig Steine in den Weg zu legen. Eine solche Gemeinschaft ermöglicht eine besondere Form der Synergie, die das Endergebnis größer macht als die Summe aller Einzelleistungen.
Co-Kreativität ist die zentrale Triebfeder dieses Unternehmens. Ich persönlich erlebe Co-Kreativität als einen besonderen Bewusstseinszustand, der sich zum Beispiel in meinen Coaching-Sitzungen einstellt oder auch mit manchen Partnern beim Aikido-Training – inspiriert, zeitlos, voller Leichtigkeit. Ihr Gegenstück, »normales« (Er-)Schaffen, würde ich als angestrengt, uninspiriert oder widerstandsbehaftet beschreiben. Im Vergleich zueinander fühlt sich das eine wie 3-D und das andere wie 1-D an. Beispiele für diesen Zustand sind im gemeinsamen Spiel versunkene Kinder, die dabei Zeit und Raum vergessen, Musiker bei der Improvisation in einer Jam-Session oder ein erfahrenes Tanzpaar beim Tanz des Tango Argentino.
Wie zu lesen ist, existieren bereits Unternehmen, die diese Form der Zusammenarbeit fördern, doch obwohl die Idee, unser Arbeitsleben glücklicher zu gestalten, nicht wirklich neu ist, findet man sie noch äußerst selten. Das wirft die Frage auf, warum sich trotz eines riesigen Angebots von Methoden zur Verbesserung des beruflichen Miteinander die alten tayloristischen Paradigmen hartnäckig halten. Warum ist beispielsweise die erfolgreiche Umsetzung agiler Methoden in bestehenden Unternehmen so schwer? Wie ist es möglich, dass die GfK-Szene in sich zerstritten ist (wie mir ein Insider der Gewaltfreien Kommunikation einmal berichtete)?
Die kurze Antwort hierauf ist (die lange ist dieses Buch), dass die Methode allein niemals die Heilung vollbringen kann. Damit sie fruchten kann, muss der Anwender sowohl aufrichtig an persönlicher Entwicklung interessiert sein als auch eine gewisse Eignung mitbringen. Fleiß allein ist nicht hinreichend, denn auch zwanzig Jahre täglicher Meditationspraxis bringen noch lange keinen Heiligen hervor. Nicht viele Menschen bringen die notwendigen Voraussetzungen mit, den eigenen Dämonen ins Antlitz zu blicken und sich von alten Mustern zu lösen. Die Ent-Wicklung des eigenen Ego ist eben selten ein einfacher Prozess und ganz offensichtlich nicht jedermanns Sache.
Als wäre das im Hinblick auf eine co-kreative Arbeitswelt noch nicht schwierig genug, neigen die Anhänger von Schulen zur Persönlichkeitsentwicklung dazu, unter sich zu bleiben. Manche dieser Peergroups grenzen sich gar von der vermeintlichen Konkurrenz ab und bilden im schlimmsten Fall eine »Kirche« mit ähnlichen Macht- und Kommunikationsstrukturen der Systeme, die man durch das Praktizieren der eigenen Methoden eigentlich verlassen wollte. Dabei vergessen sie gänzlich, dass sie alle ein gemeinsames Ziel teilen: glücklicher werden.
Solche Abgrenzungstendenzen halte ich für sowohl schädlich für unser gemeinsames Ziel als auch unnötig. Ich möchte mit diesem Buchprojekt den Dialog und die Kooperation zwischen Anhängern verschiedener Schulen fördern, die gemeinsame Essenz aller Methoden, die Co-Kreativität begünstigen, herausstellen und so »Sprachbarrieren« beseitigen. Dann muss sich der Praktizierende buddhistischer Achtsamkeitsarbeit nicht erst das Vokabular der Gewaltfreien Kommunikation erarbeiten, bevor er mit einem Anhänger letzterer ein kreatives Projekt starten kann.
Die ohnehin nicht zahlreichen co-kreativen Menschen haben also auch noch Schwierigkeiten sich zu finden, woran ich mit diesem Projekt etwas ändern möchte. Hierzu übernimmt das Offene Framework für Co-Kreativität drei Aufgaben zugleich:
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Es ist eine Richtschnur für co-kreative Unternehm(ung)en jeder Art und fungiert sozusagen als Vertrag über den Kontext der Zusammenarbeit. Es enthält die Vereinbarungen, die geschlossen werden müssen, noch bevor man sich mit dem Inhalt eines Projekts beschäftigt, wenn man sich nicht später mit unnötigen Energieverlusten auseinandersetzen will.
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Es soll co-kreative Gemeinschaft fördern, also Menschen zusammenbringen, die an Co-Kreativität interessiert sind.
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Es ist selbst ein co-kreatives Projekt.
Die Essenz des Frameworks ließe sich auf einen Satz herunterdestillieren: "Willst du ein glückliches Arbeitsleben, sei immer integer und kommuniziere stets bewusst!" Damit dieser Rat von Nutzen sein kann, muss allerdings erst einmal geklärt werden, was hier mit Integrität und bewusster Kommunikation gemeint ist, denn da gehen im Allgemeinen die Ansichten weit auseinander. Allerdings ist die Erklärung der zugrundeliegenden Prinzipien so, als wolle man jemandem den Geschmack eines guten Weins beschreiben – letztendlich ein unmögliches Unterfangen, selbst dann noch, wenn derjenige den Wein bereits gekostet hat. Um sich einem Konsens zumindest anzunähern, können Erfahrungsberichte, Beispiele, Anekdoten und Ähnliches helfen. Ist die Botschaft dann auf intellektueller Ebene verstanden, kommt gewöhnlich die Übung bestimmter Techniken ins Spiel, um das Gelernte zu verinnerlichen und im Alltag auch nutzbar zu machen.
Meine Erfahrungswelt erstreckt sich vorwiegend auf die Hendricks-Arbeit und Aikido. Damit kann ich naturgemäß nicht alle erreichen, denn verschiedene Menschen werden von unterschiedlichen Methoden angezogen. Daher möchte ich besonders Vertreter anderer Schulen, die in Resonanz mit diesem Framework stehen, einladen, sich mit ihren Erfahrungen, Praxisbeispielen oder einer Vorstellung ihrer Methode an diesem Buchprojekt zu beteiligen. Jeder einzelne Blickwinkel enthüllt eine neue Facette des Diamanten namens Co-Kreativität.
Wir haben nur ein Leben. Seine Aufspaltung in ein beschwerliches Arbeitsleben und ein Privatleben, in dem wir unsere Akkus wieder aufladen müssen, ist optional. Lasst uns erforschen, wie wir mit derselben Freude unserer Arbeit entgegenfiebern wie unseren »Freizeit«-Beschäftigungen. Mein persönliches Ziel ist jedenfalls, künftig mit beiden Beinen in der Welt der Co-Kreation zu wandeln.
An dieser Stelle möchte ich gerne noch ganz besonders meinen Lehrern Gay und Katie Hendricks danken, deren Arbeit die Basis für das Framework ist. Sie verstehen es wie kein anderer mir bekannter Lehrer, ihren Schülern die Essenz der Weisheitslehren dieser Welt allgemeinverständlich und unmittelbar anwendbar zu vermitteln – wirksam über die Grenzen von Glaubenssystemen und Überzeugungen hinweg. Bei ihnen habe ich »Alltags-Aikido« gelernt, lange bevor ich Aikido auch als Kampfkunst für mich entdeckt habe.
Wir arbeiten, um Geld zu verdienen. Das Geld brauchen wir für Essen, ein Dach über dem Kopf und die Erhaltung unserer Gesundheit – fürs Überleben also. Was dann noch übrig ist, investieren wir in das, was wir unser Leben nennen. Dieses findet in unserer Freizeit statt und soll möglichst Freude machen und unser Wohlbefinden nähren. Wir pflegen unsere sozialen Kontakte, sorgen für Unterhaltung, gehen unseren Hobbys nach, machen jährlich Urlaub usw.
Arbeit kostet Energie. Manchmal ist es die Arbeit selbst, die einfach keinen Spaß macht, uns nicht fordert oder nicht unseren Begabungen entspricht. Vielleicht behindern uns auch bürokratische Strukturen bei der Erledigung unserer eigentlichen Aufgaben, oder Machtkämpfe und ständig wiederkehrende emotionale Konflikte zehren an unseren Kräften.
Leben gibt Energie. In unserer Freizeit laden wir dann unsere Akkus auf, um sie am nächsten Tag am Arbeitsplatz wieder zu entladen. Im besten Fall funktioniert das sogar halbwegs (zumindest eine gewisse Zeit lang). Wenn es aber z. B. gerade in der Beziehung kriselt oder Krankheit ein Thema ist, dann klappt es mit der Regeneration oft nicht mehr so gut, und eine Abwärtsspirale beginnt.
»Work-Life-Balance« ist ein Zynismus.
Weil gestresste Mitarbeiter weniger effizient arbeiten, bemühen sich heutzutage viele Unternehmen, ihren Mitarbeitern ein besseres Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben zu bieten. Dies ist zweifelsohne eine begrüßenswerte Entwicklung mit durchaus positiven Verbesserungen auf die Lebensqualität von Arbeitnehmern. Genaueres Hinsehen jedoch entlarvt das beliebte Buzzword »Work-Life-Balance« als perfiden Zynismus.
Zynisch, weil schon die dem Begriff innewohnende Annahme, dass Arbeit und Leben voneinander getrennte Bereiche sind, zumindest höchst fragwürdig, wenn nicht sogar grundlegend falsch ist. Perfide, weil der Arbeitnehmer – beschwichtigt durch erworbene Vergünstigungen – die Annahme weiterhin fraglos akzeptiert, er müsse zwischen energieraubender Arbeit und energetisierendem Leben so etwas wie ein Gleichgewicht herstellen. Denn dem Unternehmen geht es freilich nicht primär um das Wohl seiner Mitarbeiter, sondern um die Erhaltung bzw. Steigerung ihrer Arbeitskraft. Die vielgepriesene »Work-Life-Balance« entpuppt sich als gut getarnte Spielart tayloristischer Denkmuster.
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Funktioniert nicht so gut
Firmenalltag Das Team hat sich zusammengefunden, um über die Lösung eines kürzlich aufgetretenen Problems zu sprechen, das hohe Zusatzkosten verursachen wird. Erst einmal sucht man nach dem Schuldigen und beklagt sich daraufhin ausgiebig über die Inkompetenz der Verursacher. Diese wiederum versuchen, ihre Beteiligung nach Möglichkeit zu vertuschen und die Zuständigkeit für die Problembehebung auf andere abzuwälzen. Man fällt sich gegenseitig ins Wort, und die Diskussion wird zunehmend emotional. Schließlich spricht der Ranghöchste der Runde entnervt ein Machtwort und bestimmt, wer sich um die Behebung des Missstands kümmern soll. Nach der Sitzung prangern die Beteiligten in kleineren Bashing-Runden die Missstände im Unternehmen an und ereifern sich über die Unfähigkeit von Chef und Kollegen, bevor man irgendwann widerwillig die Arbeit wiederaufnimmt. Doch damit ist das Drama noch lange nicht beendet, denn abends bekommt so manches Familienmitglied zu spüren, wie schwer es ist, die emotionalen Belastungen des Arbeitstages hinter sich zu lassen und ein Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben herzustellen. |
Gefühlte 99 % aller Menschen akzeptieren diese Aufteilung ihres Daseins in Arbeit und Leben ohne Vorbehalt. Ihre Großeltern und Eltern haben so gelebt, und nun haben auch sie sich daran gewöhnt. Folglich werden auch gefühlte 99 % aller Unternehmen noch von tayloristischen Prinzipien gesteuert – manche mehr, manche weniger –, auch wenn sich unsere Arbeitsbedingungen seit der industriellen Revolution unbestreitbar deutlich verbessert haben.
Wer sich zum restlichen Prozent zählt oder gerne zur hellen Seite der Macht wechseln würde, sollte nun weiterlesen. Arbeit kann nämlich durchaus Energie geben und nicht nur zehren.
Wir haben nur ein Leben. Und es sollte Spaß machen. So oft und so lange wie möglich. Deshalb plädieren wir hier für ein Verschmelzen von Arbeit und Leben: Work-Life-Blending. Ein Leben, in dem sich Arbeit nicht wie Arbeit anfühlt und in dem ich mit den Tätigkeiten, denen ich auch unentgeltlich in meiner Freizeit nachginge, meinen Lebensunterhalt verdiene.
Schöne Utopie? Wenn das so einfach wäre, würde es ja jeder machen?
Einfach ist es tatsächlich selten, aber es ist durchaus möglich. Was also macht Work-Life-Blending so schwer?
Der erste Grund ist, dass viele von uns auf der falschen Stufe ihrer Begabung arbeiten.
Zunächst ist da einmal die riesige Schar von Opfern des Peter-Prinzips: In einer klassischen Unternehmenskultur werden wir gewöhnlich so lange befördert, bis wir die Stufe unserer Inkompetenz erreicht haben. Und da sich kaum jemand freiwillig zurückstufen lassen will, verrichten Millionen von Menschen Arbeit, für die sie eigentlich nicht geeignet sind. Das zehrt unweigerlich an den eigenen Kräften und kann unmöglich zur eigenen Lebensfreude beitragen.
Doch auch Kompetenz ist noch lange kein Garant für Arbeitsfreude. Kompetent zu sein bedeutet ja lediglich, dass man eine Aufgabe in etwa genauso gut erledigen kann, wie die meisten anderen Menschen. Auch wenn ich jedes Jahr eine tadellose Steuererklärung abgebe, so schiebe ich ihre Erledigung doch meist soweit hinaus wie möglich, und tiefe innere Befriedigung werde ich dabei wohl nie empfinden. Nichtsdestotrotz ist Kompetenz für eine Vielzahl von Arbeitsplätzen ein hinreichendes Einstellungskriterium.
Daraus könnte man nun schlussfolgern, dass man den Traumjob genau dann gefunden hat, wenn man exzellent in dem ist, was man dort tut. Reingefallen! Ich mag ein exzellenter Anwalt sein, aber wenn ich nur deshalb Jura studiert habe, weil Papa mir mal die Praxis vererben möchte, obwohl ich viel lieber Tänzer geworden wäre, dann darf auch ich mich auf eine turbulente Lebensmittelkrise freuen.
Die Lösung des Dilemmas liegt in dem, was Gay Hendricks unser »Genius« nennt – nicht zu verwechseln mit Genie. Ein erfülltes Arbeitsleben ist also nicht nur denen vorbehalten, die Albert Einstein das Wasser reichen können. Natürlich ist nicht jeder ein Genie, aber jeder von uns hat ein Genius. Ob wir bei der Arbeit unsere Genius-Qualitäten nutzen, erkennen wir weniger daran, was wir am Ende produziert haben, sondern daran, wie sich die Arbeit anfühlt. Wenn beispielsweise Malen zu meinem Genius zählt, dann werden meine Bilder nicht zwangsläufig irgendwann im Louvre hängen. Vielmehr ist Malen dann für mich eine geliebte Tätigkeit, die sich nicht wie Arbeit anfühlt, bei der die Zeit verfliegt und nach der ich mehr Energie als vorher habe. Diese Tätigkeit ergibt das höchste Verhältnis von Fülle und Befriedigung zur aufgewendeten Zeit.
Der erste Schlüssel zu einem glücklichen und erfüllenden Arbeitsleben ist also, möglichst viel auf der Ebene unseres Genius zu arbeiten und möglichst wenig in den Bereichen unserer Inkompetenz, Kompetenz oder Exzellenz.
Für den Prototypen des einsamen Poeten spricht nun nichts mehr gegen ein erfolgreiches Work-Life-Blending. Alle anderen kommen nicht umhin, sich mit den Herausforderungen zwischenmenschlicher Beziehungen auseinanderzusetzen. Denn wenn es bei der Zusammenarbeit »menschelt«, dann geht schon mal so einiges an Energie für unbewusste Kommunikation (emotionale Konflikte, Machtkämpfe, Ego-Spielchen usw.) verloren, die uns dann für unseren kreativen Ausdruck nicht mehr zur Verfügung steht.
Angesichts einer Vielzahl an Weiterbildungsmöglichkeiten zu Konfliktmanagement, Kommunikationstraining, Führung, Mediation u. Ä. stellt sich die Frage, warum die berufliche Zusammenarbeit selbst für viele derer, die viel Zeit und Geld in die Verbesserung ihrer Soft Skills investiert haben, ein schwieriges Thema bleibt.
Bleibt die Kommunikation problematisch, liegt die Ursache in der zugrundeliegenden Absicht, mit der die erlernten Techniken angewendet werden. Zu groß ist nämlich die Verlockung, andere Menschen so zu beeinflussen, dass sie sich den eigenen Wünschen gemäß verhalten, was in der praktischen Anwendung in der Regel scheitert. Selbst wenn die Methode selbst keinen manipulativen Zweck verfolgt, kann sie von ihrem Anwender immer noch missverstanden oder zweckentfremdet werden. Jedoch können nur Techniken, die die eigene Persönlichkeit ent-wickeln, wesentliche Verbesserungen in unseren Beziehungen hervorbringen. Das Erlernen bewusster Kommunikation erfordert nicht die Perfektionierung einer Technik, sondern die Integration der ihr innewohnenden Essenz.
Mit bewusster Kommunikation, unserem zweiten Schlüssel, sind in unserem Kontext all jene Fertigkeiten gemeint, die ein Miteinander unterstützen und das Gegeneinander auflösen. Wir lernen eine neue Grundhaltung der Wertschätzung, durch die wir andere nicht mehr als Gegner, sondern als Verbündete sehen. Um gleich einem Missverständnis zuvorzukommen: Das heißt nicht, dass man sich auf inhaltlicher Ebene immer einig sein muss, sondern nur, dass wir uns einer Arbeitsweise verpflichten, die auf kommunikative Reibung verzichtet.
Richtig spannend wird es, wenn wir beide Schlüssel zusammenfügen. Wenn zwei oder mehr Menschen auf der Ebene ihres Genius kreativ zusammenarbeiten, wird Co-Kreativität möglich, eine radikal neue Form der Zusammenarbeit, bei der ein Maximum der verfügbaren Energie in kreative Prozesse fließt und nur ein Minimum durch kommunikative Reibung verloren geht. Nun wird Arbeit Lust statt Last, und wir können mit der gleichen Freude zur Arbeit gehen, mit der wir auch zur Tanzstunde, zum Fußball oder ins Kino gehen.
Damit dies möglich wird, dürfen wir keine Energie durch Integritätsverletzungen verschwenden, müssen wir uns für bewusste Kommunikation engagieren und uns dem kreativen Ausdruck unserer natürlichen Begabungen verpflichten.
Diese Selbstverpflichtungen in den Bereichen
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Integrität
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Bewusste Kommunikation
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Kreativität
werden hier »Core-Commitments« genannt und bilden den Kern dieses Frameworks. Sie sind nicht als neue Methode oder Technik zu verstehen, vielmehr handelt es sich um Prinzipien, die für alle Methoden gelten, die ein glückliches und erfülltes Arbeitsleben zum Ziel haben. Diese Prinzipen werden in den wenigsten Schulen explizit und vollständig gelehrt, meist sind sie nur als implizite Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung der gelehrten Methoden enthalten.
So lehrt zum Beispiel die Gewaltfreie Kommunikation sehr explizit die Prinzipien bewusster Kommunikation, wird rund um das Thema Integrität eher impliziter und hat nur wenig zum persönlichen kreativen Ausdruck beizutragen. Noch deutlicher wird es bei den derzeit beliebten agilen Methoden, bei denen alle drei Bereiche nur implizit vorausgesetzt werden.
Wenn die Anwendung derartiger Methoden zur Förderung von Co-Kreativität auf Hindernisse stößt oder gar ganz scheitert, dann ist die Ursache zuerst in der Verletzung der Core-Commitments zu suchen. Das Framework für Co-Kreativität kann solche Probleme lösen oder deren Entstehung von vornherein vorbeugen, wenn es bereits im Vorfeld einer Unternehmung angewandt wird.
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ToDo: Feinschliff |
Wenn Arbeit keine Freude (mehr) bereitet und Energie zehrt statt spendet, dann ist die Ursache zuerst in der Verletzung von Commitments zu Integrität, bewusster Kommunikation und Kreativität zu suchen. Sie bilden die notwendige Basis für jeden Lösungsansatz, der nachhaltig wirken soll.
Dem ein oder anderen mögen die beschriebenen Prinzipien trivial erscheinen, doch sie werden leicht unterschätzt oder missverstanden. Daher widmet sich ein großer Teil dieses Buches mit der Beschreibung dieser gemeinsamen Essenz aller Methoden aus möglichst vielen Blickwinkeln. Alle verwendeten Begriffe werden hier so genau wie möglich beschrieben, oder besser: umschrieben.
Die zweite Ebene des Frameworks wird nach und nach mit »optionalen Commitments« gefüllt, einzelne Bausteine, deren Nutzen von der Art der jeweiligen Unternehmung abhängt, zum Beispiel:
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Verpflichtung eines Unternehmens zur Nachhaltigkeit
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Gemeinnützigkeit als Unternehmensziel
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…
Der letzte Teil widmet sich der praktischen Umsetzung von Co-Kreativität und Work-Life-Blending:
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Vorstellung »kompatibler« Methoden zum Erlernen der Core Skills
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Erfahrungsberichte zur Umsetzung, Anekdoten usw.
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Vorstellung realer Projekte, Beispiele existierender »Implementierungen« (Firmen, Projekte, Organisationen)
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existierende wirtschaftliche oder organisatorische Modelle, die das Framework bereits implizit enthalten oder mit ihm kompatibel sind
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…
Wir wollen eine Form der Zusammenarbeit erreichen, bei der ein Maximum unserer verfügbaren Energie in kreative Prozesse fließt und nur ein Minimum durch kommunikative Reibung verloren geht. Um dies zu ermöglichen, müssen sich alle Beteiligten bewusst auf einen Kontext für eine solche Kooperation einigen. Über die in diesem Kapitel aufgeführten Commitments schließen sie eine Art »Vertrag« darüber, wie sie zusammenarbeiten wollen.
Der englische Begriff »Commitment« wird hier verwendet, weil es kein deutsches Wort mit äquivalenter Bedeutung gibt. Eine vollständige und sinngemäße Übersetzung erfordert im Deutschen drei Teilbegriffe:
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Verpflichtung
Für viele ist das Wort »Pflicht« eher negativ belegt, im Sinne eines von außen auferlegten Zwanges. Ein Commitment ist jedoch eine positive Form der Verpflichtung, wie in »sich selbst verpflichtet sein«. -
Engagement
drückt eine aufrichtige Willenserklärung aus innerem Antrieb aus. -
Zusage oder Versprechen
Hier ist wichtig, dass nicht eine Art Vertrag mit einer außenstehenden Partei impliziert wird, der bei Nichteinhaltung Konsequenzen nach sich zieht. Vielmehr stellt ein Commitment eine Zusage an sich selbst dar.
Ein Commitment ist also eine aufrichtige Zusage, sich etwas engagiert zu verpflichten.
Optimalerweise stellen sie diesen Rahmen her, bevor sie sich den inhaltlichen Fragen ihrer Unternehmung zuwenden, um der Entstehung von Verstrickungen vorzubeugen, die später zu Energieverlusten führen.
Die Rahmenvereinbarungen, die Menschen mit sich selbst und miteinander treffen müssen, um den Kontext eines co-kreativen Arbeitsumfeldes zu schaffen, umfassen die Bereiche:
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Integrität
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Makellose Vereinbarungen
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gesunde Verantwortung
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Transparenz
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Bewusste Kommunikation
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Bewusstes Zuhören
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Feedback geben und empfangen
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Wertschätzung
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Kreativität
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Genius
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Co-Kreativität
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Dies sind im Wesentlichen Eigenschaften, die gemeinhin als soziale Kompetenzen oder auch »Soft Skills« gelten. Hier sind allerdings weniger erlernbare Techniken gemeint, sondern ein radikaler Wechsel der eigenen Grundhaltung. Techniken können uns zwar dabei behilflich sein, um zu dieser Grundhaltung zu gelangen, diese aber nicht ersetzen.
Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass nicht alle Beteiligte perfekt in der Anwendung dieser Fähigkeiten sein müssen – das wäre eine praktisch unerfüllbare Forderung. Viel wichtiger ist das Vorhandensein des Commitments zu jeder dieser Eigenschaften. Deshalb ist jeder Punkt mit einem vorangestellten »Ich sage aufrichtig zu, …«, »Ich engagiere mich dafür, …« oder »Ich verpflichte mich, …« versehen.
Natürlich sind diese Selbstverpflichtungen nicht als Vertrag im juristischen Sinne zu sehen. Das Framework ist nicht als Korsett gedacht, alle Teilnehmer auf die Regeln einer naive Sozialutopie einzuschwören. Angenommen, ein Teammitglied lässt sich doch einmal dazu hinreißen, mit wüsten Beschuldigungen um sich zu werfen, statt wertschätzend die Lösung des Problems im Auge zu behalten. Dann wird es vom restlichen Team nicht gleich verklagt, sondern höchstens freundlich an das Commitment zur bewussten Kommunikation erinnert, sobald der Ärger abgeklungen ist. Dies gibt ihm dann die Möglichkeit, sein Commitment zu erneuern – oder auch nicht.
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Für co-kreative Zusammenarbeit ohne Energieverluste ist jede einzelne dieser Zusagen notwendig. Wird mindestens eines dieser Commitments nicht aufrichtig eingegangen, treten unweigerlich irgendwann Energieverluste auf. Umgekehrt bedeutet das Auftreten von Energieverlusten, dass mindestens eines dieser Commitments brüchig ist. |
Das Framework wirkt wie ein geschütztes Behältnis für Co-Kreativität. Jedes verletzte Commitment wirkt wie ein Leck, durch das Energie abfließt. Ein solcher Energieverlust ist für alle, die dieses Behältnis halten, unmittelbar spürbar, und jeder einzelne ist dann aufgerufen, Verantwortung für das Abdichten dieses Lecks zu übernehmen.
Hier nun also die Commitments im Einzelnen:
Ich sage zu, nur Vereinbarungen einzugehen, die ich auch einhalten kann und will.
Ich sage zu, keine Vereinbarungen einzugehen, die ich nicht einhalten kann oder will.
Ich sage zu, all meine Vereinbarungen gewissenhaft einzuhalten.
Ich sage zu, meine Vereinbarungen bewusst anzupassen, sobald es erforderlich wird.
Ich sage zu, bereitwillig/freudig/bewusst gesunde Verantwortung übernehmen und andere dabei zu unterstützen, dies ebenfalls zu tun.
Ich verpflichte mich, die Wahrheit zu sagen und keine relevanten Wahrheiten zu verheimlichen
Ich sage zu, 100 % Verantwortung für meine Gefühle zu übernehmen.
Ich sage zu, meine Gefühle zu kennen und sie anderen gegenüber verständlich zu kommunizieren.
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ToDo
brauchen evtl. noch Feinschliff
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Ich sage zu, auf den drei Ebenen Inhalt, Empathie und Co-Kreativität bewusst zuzuhören.
Ich engagiere mich dafür, das Gesprochene inhaltlich vollständig zu erfassen und wiedergeben zu können.
Ich engagiere mich dafür, empathisch zuzuhören und die Gefühle und Emotionen meines Gegenübers zu erfassen.
Ich engagiere mich dafür, zu hören, was mein Gegenüber wirklich will.
Ich sage zu, anderen wertschätzendes Feedback zu geben.
Ich sage zu, Feedback wertschätzend zu empfangen, ganz gleich, wie es übermittelt wird.
Ich engagiere mich für eine wertschätzende Grundhaltung anderen Menschen gegenüber.
Ich engagiere mich für eine wertschätzende Grundhaltung mir selbst gegenüber.
Ich sage zu, meine einzigartigen Genius-Qualitäten zu kennen, zu fördern und kreativ auszudrücken.
Ich sage zu, andere in ihrem kreativen Ausdruck zu unterstützen.
Ich engagiere mich für die Förderung von Co-Kreativität, wo immer möglich.
Sprache ist ein tückisch Ding. Missverständnisse sind vorprogrammiert, vor allem wenn wir uns auf dem Feld zwischenmenschlicher Beziehungen bewegen. Jeder interpretiert Worte unterschiedlich und pickt sich aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen aus dem Bedeutungshof eines Wortes seine persönliche Bedeutung heraus.
Verantwortung: Erfahrungsgemäß assoziieren die meisten damit Worte wie Schuld, Last oder Pflicht. In unserem Kontext ist jedoch eine Verantwortung gemeint, die das Leben leichter und nicht schwerer macht.
Integrität: Den Ehepartner nicht betrügen, nicht stehlen und immer seine Steuern zahlen ist schon mal nicht schlecht, aber wenn die dahinter stehende Motivation nur die Angst vor Strafe ist, dann sind wir von wahrer Integrität noch weit entfernt.
Zuhören: Manch einer mag glauben, dass nichts zu sagen bereits ausreicht, um jemandem zuzuhören. Bewusstes Zuhören erfordert hingegen eine radikal neue Grundhaltung dem Sprecher gegenüber – urteilsfrei, empathisch, zugewandt und authentisch.
Um den vollen Wert des Frameworks auszuschöpfen, sind daher zusätzliche Erläuterungen erforderlich. Dieses Kapitel widmet sich deshalb der Minimierung derartiger Missverständnisse, indem es alle Schlüsselbegriffe in so vielen Facetten wie möglich umschreibt.
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Funktioniert nicht so gut
Beziehungssabotage In der Paarberatung kommt es nicht selten vor, dass die Partner mit ganz unterschiedlichen Absichten zum ersten Termin erscheinen. Nicht selten ist sie die treibende Kraft, die die Beziehungsprobleme angehen will, aber er ist vielleicht nur erschienen, damit das ständige Nörgeln endlich aufhört. Natürlich würde er das nie offen zugeben, und insgeheim wünscht er sich, dass die Beratung ihm bestätigt, dass er eigentlich im Recht und sie Schuld an der Misere ist. Ohne das bewusste Commitment beider, das gemeinsame Problem zu lösen, wird die Beratung ein eher kräftezehrender Prozess sein, der die Kluft zwischen beiden sogar noch vergrößern kann (was nicht immer ein negatives Ergebnis sein muss). Erst wenn beide die volle Verantwortung für ihren Anteil an ihren Differenzen übernehmen, wird eine co-kreative Lösung für ihre Probleme möglich. Unbewusste Commitments sabotieren Beziehungen. |
Das Gegenstück zum bewussten Commitment ist das Lippenbekenntnis. Sagen wir, mein unkontrollierter Verzehr von Süßigkeiten hat mir über die Jahre eine nette kleine Wohlstandswampe beschert, und ich will nun wieder abnehmen. Wenn ich nun sage: »Ich verzichte künftig auf den übermäßigen Verzehr von Zucker«, und fünf Minuten später finde ich mich mit 2 Stücken Sahnetorte vor dem Kühlschrank wieder, dann kann ich davon ausgehen, dass mein Commitment nur ein Lippenbekenntnis war.
Allerdings sind Commitments auch nicht als Verträge mit ewiger Bindung zu betrachten. Wenn wir uns entscheiden, Verhaltensmuster zu ändern, die wir uns über Jahrzehnte hinweg angewöhnt und verfestigt haben, dann ist kaum damit zu rechnen, dass sie sich durch ein Commitment über Nacht einfach in Luft auflösen. Je älter das Muster, umso mehr können wir damit rechnen, dass es uns noch eine Weile begleitet und unser neues Commitment herausfordert. Daher besteht die Kunst eigentlich nicht im Commitment selbst, sondern eher in der Erneuerung von Commitments.
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Stichpunkte
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Stichpunkte
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Funktioniert nicht so gut
Stille Erwartungen
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Voraussetzungen für gesunde Verantwortung
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Stichpunkte
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Funktioniert nicht so gut
Lügen Wenn wir jemanden belügen, verletzen wir unsere Integrität. Durch unsere Lüge erschaffen wir zwei Versionen unseres Selbst. Die erste Version kennt die Wahrheit, die zweite Version müssen wir nach außen hin präsentieren, um die Lüge aufrecht zu erhalten. Auf diese Weise sind wir nicht mehr unversehrt. Eine besondere Form der Lüge ist das Geheimnis. Geheimnisse machen krank. Je länger die Wahrheit unausgesprochen bleibt, umso stärker sind die gesundheitlichen Folgen, mit denen wir rechnen müssen. Wir können allerdings jederzeit unsere Integrität wiederherstellen, indem wir die Wahrheit sagen und für alle Konsequenzen bereitwillig die Verantwortung übernehmen. |
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Stichpunkte
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Stichpunkte
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Echtes Zuhören eine seltene Kunst. Gemeinhin wird stattdessen der so genannte Meinungsaustausch gepflegt, was in der Regel bedeutet, dass nach dem Gespräch beide Partner mit ihren Meinungen wieder nach Hause gehen, ohne dass sich an selbigen irgend etwas verändert hätte. Der Preis, den wir dafür bezahlen: echte Beziehungen können so nicht zustande kommen. Authentische Beziehungen bedürfen bewusster Kommunikation, deren erste Voraussetzung die Fähigkeit zum Zuhören und nicht etwa die Fähigkeit zum präzisen und prägnanten Ausdruck ist. Bewusstes Zuhören in diesem Sinne findet auf 3 Ebenen statt:
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Inhalt – das korrekte und vollständige Erfassen der übermittelten Information
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Empathie – das Hören der in den Worten mitschwingenden Gefühle
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Co-Kreativität – Hören, was der Sprecher wirklich will
Schon auf der ersten Ebene stellt es für die meisten erfahrungsgemäß eine schier unlösbare Aufgabe dar, den Inhalt des in einer Minute gesprochenen Textes sinngemäß wiederzugeben. Da wundert es nicht, dass sich in Kommunikation selten jemand für die Gefühle und Bedürfnisse eines anderen interessiert. Das Seltsame ist, dass Menschen es lieben, wenn man ihnen wirklich zuhört, und weil das kaum jemand tut, versuchen sie den anderen unbewusst zum Zuhören zu zwingen, indem sie ihm ihre Information mit Gewalt aufdrängen. Zweifelsohne steht »Nie hörst du mir zu!« in den Top 5 der häufigsten Beschwerden in Paarbeziehungen.
Warum hören wir eigentlich nicht mehr richtig zu? Ein Hauptgrund sind unsere »Zuhörfilter«. Noch bevor uns die Worte unseres Gesprächspartners wirklich erreichen, sind wir schon bemüht zu helfen und das Problem zu lösen, oder wir fangen an, das Gesagte zu kritisieren und wollen Recht haben, oder wir beginnen ein Wettrennen um die Opferrolle und wollen den anderen davon überzeugen, dass wir ja noch schlechter dran sind als er. Was wir dabei gar nicht bemerken, ist, dass wir uns vom anderen isolieren, was im Extremfall dazu führt, dass es von außen betrachtet zwar wie ein Gespräch aussieht, sich in Wirklichkeit aber zwei Menschen gegenüber sitzen, die autistisch nur mit ihren eigenen Interessen beschäftigt sind.
Jemand, der bewusst zuhört, sagt beispielsweise
»Erzähl mir mehr!« statt »Moment mal, das stimmt so nicht …«
oder
»Das hört sich an, als wärest du gerade sehr traurig darüber, dass …« statt »Schau mal, die Lösung liegt doch auf der Hand: …«
oder
»Kann ich dich irgendwie dabei unterstützen?« statt »Ich verstehe einfach nicht, wieso das so ein Problem für dich ist!«
Bewusstes Zuhören lässt sich nicht im Rhetorikkurs erlernen, da es nicht als Technik zu begreifen ist sondern als eine innere Haltung. Es wird nicht wirklich Ihre Beziehungen positiv beeinflussen, wenn Sie zwar »Erzähl mir mehr!« aussprechen aber »Mann, wie lange muss ich mir das Gesülze denn noch anhören!« denken. Ohne die aufrichtige Bereitschaft, die eigenen Motive vorerst hintan zu stellen, ist bewusstes Zuhören nicht möglich. Es erfordert Ihren ehrlichen Willen, den anderen so gut es geht verstehen zu können und sich für seine Bedürfnisse zu interessieren.
Ein guter Zuhörer ist also kein passiver Empfänger, sondern stellt aktiv einen Raum zur Verfügung, in dem sich der Sprecher mit seinem Anliegen frei entfalten kann. Der Lohn: Beziehungen mit Tiefe und die Möglichkeit, gemeinsam etwas vollkommen Neues zu erschaffen – Co-Kreativität also.
Feedback im weiteren Sinne ist jede Form von Rückmeldung, die wir von anderen Menschen erhalten, unabhängig davon, wie sie übermittelt wird, z. B. Lob, Tadel, Wertschätzung, Kritik (konstruktive wie destruktive) usw.
Im engeren Sinne ist unter Feedback eine wertschätzende Form der Rückmeldung gemeint, die sich wesentlich von Kritik unterscheidet. Die Unterschiede zwischen wertschätzendem Feedback und Kritik sind:
Feedback | Kritik |
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ist unbestreitbar |
ist bestreitbar |
beginnt meist mit »Ich …« |
beginnt meist mit »Du …« |
drückt Wertschätzung des Gebers aus |
wertet den Empfänger |
verbindet Menschen und fördert authentische Beziehungen |
trennt Menschen (griechischer Wortstamm: »scheiden, trennen«) |
ist co-kreativ |
ist manipulativ (Pole: Lob und Tadel) |
Kritik kann nützlich sein, um die eigenen Vorlieben und Abneigungen zu verdeutlichen, wenn sie auf Gegenstände und Handlungen gerichtet ist. Bei Anwendung auf Menschen ist sie ist jedoch in der Regel schädlich. »Konstruktive Kritik« wird oft als positive Form der Kritik angeführt, stellt sich jedoch oft als Euphemismus heraus, der manipulative Absichten verschleiern soll.
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ToDo
Artikel Kritik/Lob/Tadel einarbeiten.
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Stichpunkte
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In seinem Buch The Big Leap [bigleap] teilt Gay Hendricks unsere Begabungen in vier Bereiche ein:
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Inkompetenz
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Kompetenz
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Exzellenz
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Genius
Eine Tätigkeit fällt in den Bereich meiner Inkompetenz, wenn folgende Merkmale erfüllt sind:
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Fast jeder andere könnte es besser als ich erledigen.
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In der Regel bekomme ich negatives Feedback für die erzeugten Ergebnisse.
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Im Verhältnis zum Nutzen kostet mich die Tätigkeit viel Energie und Zeit.
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Die Tätigkeit macht mir keinen Spaß.
Frank hat große Probleme, die Erläuterungstexte seiner Steuersoftware zu verstehen und kann ohne Hilfe eines Dritten nicht entscheiden, welche Werte wo einzutragen sind. Schon das Sortieren der erforderlichen Belege kostet ihn viele Stunden. Regelmäßig schiebt er die Steuererklärung so weit wie möglich hinaus und muss deshalb oft Säumniszuschläge bezahlen. Geiz ist der einzige Grund, warum er sie immer noch selbst bearbeitet.
Lösung: Frank sollte unbedingt einen Steuerberater beauftragen.
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Die meisten anderen Menschen können die Tätigkeit ebenso gut wie ich erledigen.
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Die erzielten Ergebnisse sind gut, befriedigen mich aber nicht.
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Die Tätigkeit kostet mich Energie.
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Die Tätigkeit bereitet mir keine Freude.
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Ich kann es besser als fast jeder andere
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immer positives Feedback
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Energie bleibt gleich oder sinkt
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evtl. Beigeschmack von „Betrug“
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kaum Spaß
Max' Freundin hat unglücklicherweise in ihrem Freundeskreis verbreitet, wie toll er immer ihre Steuer mache und wie hoch ihre Rückerstattung jedes Jahr ist. Seitdem erhält er regelmäßig Anfragen, ob er das nicht auch für andere machen könne – natürlich nicht umsonst, sondern für eine Einladung zum Essen als Gegenleistung …
Lösung: Max sollte sich schnellstmöglich ein T-Shirt bedrucken lassen: »I won’t do your taxes!«
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gemeinsames Ziel steht im Vordergrund
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Zeit verfliegt
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nicht anstrengend, fühlt sich nicht wie Arbeit an
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Leichtigkeit, geht wie von selbst von der Hand
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Lust am Weiterverfolgen
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Synergie
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Qualität kindlichen Spiels
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man will gar nicht aufhören
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Energiequelle, Energie hinterher größer als vorher
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kein Ego, nicht »Ich! Ich! Ich!«, sondern »Wir! Wir! Wir!«
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kein Machtkampf, miteinander statt gegeneinander
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geliebte Tätigkeiten, die Freude machen und nicht wie Arbeit scheinen
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erzeugt, gemessen am Zeitaufwand, die meisten positiven Ergebnisse
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besondere, natürliche Begabung
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außergewöhnliche Fähigkeiten, die die Organisation (Familie, Beziehung, Firma) nur schwer ersetzen könnte
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Ideen sprudeln
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würde es auch ohne Geld tun
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geht nicht ums Rechthaben, um Macht
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anderer Bewusstseinszustand, kein simples Anwenden von Techniken (ist wie wahre Liebe in Äußerlichkeiten zu suchen)
Jedes Jahr im Januar fragt Christina ungeduldig im Freundeskreis herum, wer bereits alle Belege zusammen hat, und für wen sie auch diesmal wieder die Steuererklärung erledigen darf.
Lösung: Christina sollte unbedingt Steuerberaterin werden, wenn noch nicht geschehen.
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ToDo
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Für Persönlichkeitsentwicklung im weitesten Sinne können Techniken hilfreich sein, aber sie sind weder hinreichend noch zwingend notwendig für die Verinnerlichung der ihnen zugrundeliegenden Essenz.
Entspannung, Gelassenheit, Selbstvertrauen, Liebe, Harmonie, Freude, Frieden, Glück, Kreativität, Intuition, eine Lebensaufgabe, Erfüllung, Sinn, Freiheit, Selbsterkenntnis oder sogar Erleuchtung – nach solchen Dingen Strebende suchen sich bisweilen Lehrer, die ihnen den Weg weisen. Von diesen lernen sie dann irgendeine Form von Technik, deren Anwendung sie von ihrem Leiden erlösen und ans Ziel ihrer Sehnsucht führen soll. Zumindest anfangs erliegen die meisten dem fundamentalen Missverständnis, dass die ersehnte Erlösung in der Perfektion der Technik liegt. Wer sein altes Gefängnis nicht nur neu tapezieren, sondern wahre Freiheit hinzugewinnen will, muss irgendwann die Techniken wieder loslassen.
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Missverstandene Technik
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Wenn wir uns nach der Wiederentdeckung unserer Essenz sehnen, stoßen wir auf ein Paradoxon, denn wir haben vergessen, was wir suchen, wir wissen nur noch, dass wir es suchen. Beispielsweise kann Kreativität nicht direkt erlernt werden, Kreativitätstechniken können jedoch helfen, sie wieder zu entdecken. Und wer, um seine inneren Dämonen zu zähmen, seinen ersten Meditationskurs besucht, kann zu diesem Zeitpunkt unmöglich wissen, was Meditation wirklich ist, doch beharrliche Anwendung der Meditationstechnik ermöglicht vielleicht deren Erfahrung.
Gerade anfangs läuft der Suchende jedoch Gefahr, die Technik mit der Essenz zu verwechseln und die Lösung mit dem denkenden Geist zu suchen, der jedoch zugleich Verursacher des Problems ist. Denn bevor Essenz nicht zumindest erahnt oder erfahren wird, mangelt es an Alternativen, und so gaukelt unser Denken uns Kontrolle vor und sagt: »Wenn Du die Technik nur gut genug beherrschst, dann bist du endlich am Ziel!« Der schlechte Lehrer wird seinen Schüler nun weiter zur Perfektion der Technik antreiben, der gute wird ihn daran erinnern, dass die Technik nur Mittel zum Zweck ist, eine Krücke oder ein »Ermöglicher«. Die Wahrheit enthüllt sich nämlich meist heimlich und unerwartet im Unterstrom der Anwendung – sie ist wie der Raum, der die Technik enthält, oder das weiße Papier, das die Buchstaben der Anleitung trägt.
Notwendig aber nicht hinreichend würde der Mathematiker sagen. Die meisten Menschen auf der Suche nach ihrem wahren Wesen scheinen Techniken als Unterstützung auf ihrem Weg zu benötigen. Allerdings kann keine Technik einen Erfolg garantieren, denn letztendlich liegt die Verantwortung immer beim Anwender. Kein Lehrer dieser Welt kann seinen Schüler zum Glück zwingen, der jederzeit die Wahl hat, an der Technik anzuhaften und sich damit selbst die Erfahrung tieferer Dimensionen zu verschließen. So gesehen ist die Technik Segen und Fluch zugleich.
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Funktioniert nicht so gut
Ich- und Du-Sätze In einem Kommunikations-Workshop lernen die Teilnehmer, wie man emotionale Konflikte entschärft. Sie sollen in Sätzen, die mit »Ich …« beginnen, ihre eigenen Gefühle auszudrücken, statt ihr Gegenüber in »Du …«-Sätzen mit Beschuldigungen anzugreifen. Als die Runde sich nach einer Paarübung zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch wieder zusammenfindet, beschwert sich eine der Teilnehmerinnen beim Trainer. »Die Methode funktioniert nicht. Wir haben uns genauso in die Haare gekriegt wie sonst auch.« »Was ist denn passiert?« »Ich habe Ich-Sätze gebildet, wie Sie es gesagt haben, und ausgedrückt, was ich fühle, und trotzdem hat er aggressiv reagiert.« »Wissen Sie noch, was genau Sie gesagt haben?« »Ich habe gesagt: ›Ich fühle, dass du ein Idiot bist.‹« |
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Stichpunkte
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Stichpunkte
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Hat man sich einmal auf die Core-Commitments geeinigt, muss das gemeinsame Projekt mit Inhalt gefüllt werden. Unterschiedliche Unternehmungen erfordern nun unterschiedliche Vereinbarungen, die sich als zweite Ebene um den Kern herum gruppieren.
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Stichpunkte
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Viele existierende Unternehmen mit co-kreativen Arbeitsparadigmen verfolgen auch die Absicht der Gemeinnützigkeit. Das liegt vermutlich daran, dass es nur schwer möglich ist, die eigene Integrität zu erhalten, wenn man egoistische Ziele verfolgt.
Die Idee, sich in Kommunikation und Management bei den Philosophien fernöstlicher Kampfkünste zu bedienen, ist nicht neu und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Da gibt es kämpferische Ansätze, die vor allem darauf abzielen, seinen Gegner möglichst effizient zu besiegen. Daneben existieren Lehren, die eher friedvollere Lösungen zur Konfliktlösung verfolgen. Im Budo (Oberbegriff aller japanischen Kampfkünste) erkennt man die spirituelle Ausrichtung dieser Disziplinen daran, dass sie mit »-do« (»der Weg«) enden und zusätzlich zur Kampftechnik auch eine innere Lehre besitzen.
Doch obwohl Aikido seine Wurzeln ebenfalls im Budo hat, unterscheidet sich seine Philosophie radikal von denen seiner Geschwister. Denn selbst in den friedvollsten Kampfkünsten, in denen der höchste Grad an Perfektion erreicht ist, wenn man ohne Kampf gewinnen kann, steht doch letztendlich immer noch das Gewinnen im Vordergrund. Aikido hingegen verlässt das Paradigma von Sieg und Niederlage vollkommen.
Aikido ist eine vergleichsweise junge japanische Kampfkunst, die aus traditionellem Jūjutsu und Schwertkampf hervorgegangen und von buddhistisch-shintoistischen Prinzipien durchdrungen ist. Ihr Gründer, Morihei Ueshiba, hat von 1883 bis 1969 gelebt und war der größte Kampfkünstler seiner Zeit, wenn nicht sogar aller Zeiten. Er wurde oft von Meistern verschiedenster Herkunft herausgefordert, konnte aber zeitlebens von keinem bezwungen werden.
Als junger Mann arbeitete er zunächst als Ausbilder in der japanischen Armee und leitete danach eine Gruppe von Pionieren an, um unter widrigsten Bedingungen eine Siedlung auf der Insel Hokkaido aufzubauen, wo er auch seine Kampfkunst perfektionierte. Erst nach dieser Zeit, zur Mitte seines Lebens hin, begann er, seine friedvolle Version des Budo (»Weg des Krieges«) zu entwickeln.
Was Ueshiba so aussergewöhnlich macht, ist seine Transformation von einem modernen Samurai, der durchaus in der Lage und bereit dazu war, Gewalt anzuwenden und sogar zu töten, hin zu einem Krieger, der die erste Kampfkunst entwickelt hat, in der Gewalt nicht mit Gegengewalt beantwortet wird.
Das Außergewöhnliche an Aikido ist nun, dass es weder Sieger noch Verlierer kennt. Streng genommen müsste man es deshalb eigentlich »Nicht-Kampf-Kunst« nennen. Die Entstehung eines Kampfes steht von vornherein außer Frage, weil der Aikidoka seinen Angreifer nicht als Gegner, sondern als Verbündeten sieht. Seine Absicht ist es nicht nur, den Angreifer unverletzt zu lassen, sondern sogar ihn zu schützen. Aikido ist gewaltfreie Kommunikation auf körperlicher Ebene.
Das ist ein erstaunliches Konzept, das sogar für viele Aikidoka nur schwer zu fassen ist. Und doch ist es genau diese scheinbar verrückte Haltung, die Co-Kreativität erst möglich macht.
Da kommt also jemand und will mir Gewalt antun, und ich soll bei meiner Reaktion auch noch darauf achten, dass ich ihn nicht verletze? Geht’s noch? Um zu verstehen, warum das besser ist als die Unterwerfung des Gegners, sehen wir uns einmal verschiedene Aspekte einer Aikido-Technik an.
Alles beginnt mit einem Angriff, z. B. einem Stoß, Schlag, Hieb oder Griff. In genau dem Moment, in dem der Angreifer zu seinem Angriff ansetzt, harmonisiert sich der Aikidoka mit dessen Bewegung (Ai=Harmonie), lenkt die Angriffsenergie in eine kreis- oder spiralförmige Bewegung, um sie dem Angreifer in Form eines Wurfes oder einer Haltetechnik zurückzugeben. Der Aikidoka kontrolliert zwar in jeder Phase die Bewegung, ohne jedoch den Angreifer zu dominieren. Die Reaktion des Aikidoka ist so dosiert, dass Schaden weder für ihn noch für den Angreifer entsteht.
Ein Angreifer, der einen erfahrenen Aikidoka angreift, hat das Gefühl, mit seinem Schlag, Stoß oder Hieb in ein Vakuum zu fallen. Er spürt keinen Widerstand und hat den Eindruck, dass seine eigene Angriffsenergie ihn zu Boden reißt.
Widerstand ist die erste Handlung des Krieges
Wie sich das in einer verbalen Auseinandersetzung anfühlt, haben wir alle schon einmal in irgendeiner Form erlebt. Vielleicht haben wir jemandem gesagt, er solle nicht so eine Flappe ziehen, und dann stellte sich heraus, dass seine Tochter gerade gestorben ist. Oder wir machen unseren Lebenspartner zur Schnecke weil er – wieder einmal – viel später als erwartet nach Hause kommt, um dann zu erfahren, dass er im Stau steckte, nachdem er einen Verlobungsring besorgt hat. Oder stell dir vor, was wohl passieren würde, wenn du dem Dalai Lama eine vulgäre Beleidigung ins Gesicht sagen würdest.
Aikido wirkt ähnlich auf verbale Angreifer. Auf einmal sind all unsere guten Argumente null und nichtig, unser »berechtigter« Ärger verpufft und wir fühlen uns vollkommen entwaffnet.
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Aikido ändert den Kontext eines Konfliktes vom Machtkampf zur Co-Kreativität. |
Allgemein wird angenommen, dass ein Krieg mit einer aggressiven Handlung beginnt. Tatsächlich braucht man jedoch zwei Parteien, um einen Krieg zu führen. Daraus ergibt sich ziemlich offensichtlich, dass ein Krieg erst dann beginnen kann, wenn der Angegriffene seinerseits gewalttätig handelt.
Für eine erfolgreiche Technik ist es wichtig, dass der Aikidoka sein Zentrum mit dem Zentrum seines Angreifers »verschmilzt«, um sich vollkommen mit der Bewegung des Gegenübers harmonisieren zu können. Um eine konfrontative Situation zu vermeiden, muss er sich sozusagen in den Anderen hineinversetzen, seinen Blickwinkel einnehmen und seine Sichtweise verstehen. In einigen Aikido-Techniken ist dies sogar physisch der Fall, wenn für einen Moment lang beide mit exakt derselben Körperhaltung parallel nebeneinander stehen.
Für den Aikidoka ist es daher überlebenswichtig, dass er in jeder Phase seiner Technik mit allen verfügbaren Sinnen »zuhört«. Um die Harmonie mit seinem Angreifer herzustellen und aufrecht zu erhalten, ist er vollauf mit der Verarbeitung von visuellen, auditiven und somatosensorischen Wahrnehmungen beschäftigt. Er riskierte sein Leben, würde er mit eventuell begangenen Fehlern hadern oder versuchen, seine Technik vorauszuplanen. Deshalb versucht er stets einen »leeren Geist« beizubehalten. Dazu muss er vollkommen präsent, also mit seinem Bewusstein in der Gegenwart sein.
Dieser leere Geist entspricht beim kommunikativen Zuhören einer vorurteilsfreien Haltung.
Aikido ist Energieeffizienz in ihrer höchsten Form. Wer einmal ein Aikido-Training beobachtet, wird feststellen, dass die Angreifer ziemlich schnell außer Atem und ins Schwitzen geraten, während den Verteidigern kaum Anstrengung anzusehen ist. Dies liegt daran, dass der Aikidoka keinerlei Energie in den Machtkampf investiert und für seine Technik im Wesentlichen die Energie des Angreifers nutzt.
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Eintreten, die Harmonie herstellen: Höre deinem Gegenüber bewusst zu. Versuche dabei nicht nur den Inhalt zu erfassen, sondern auch den emotionalen Unterstrom und die Bedürfnisse dahinter. Akzeptiere. Wertschätze. Finde die gemeinsame Basis, sei sie auch noch so klein. Baue auf dieser Basis auf.
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